Sind wir jemals gut genug? Weshalb Perfektionismus keine Lösung ist.

Wir alle wollen perfekt sein. Wir alle wollen gut genug sein. Wir alle wollen, gemocht und akzeptiert werden. Das ist ganz menschlich und in seinen Grundprinzipien völlig "gesund". Aber was passiert, wenn wir uns zu sehr an diese Ideale klammern und stets das „Unerreichbare“ anstreben? Sind wir am Ende wirklich perfekt?

Perfektionisten neigen dazu, hohe Standards, Ziele und Ansprüche an sich selbst zu stellen. Und dahinter steckt häufig ein sehr edles Motiv - das allerdings mit den falschen Mitteln angestrebt wird. Denn oft tarnt der Perfektionismus große Ängste, wie zum Beispiel den Verlust von Wertschätzung und Ansehen sowie Versagens- oder Verlustängste.

Bis heute findet man in vielen Bewerbungsratgebern, dass der Perfektionismus als vermeintliche Schwäche in Bewerbungsgesprächen gut beim Vorgesetzten ankommen solle.

Doch was steck wirklich dahinter? Wieso entwickeln wir perfektionistische Züge und gibt es auch eine gesunde Variante? Ich werde in diesem Artikel auf genau diese Fragen eingehen und Dir meine Top 4 Tipps mit an die Hand geben.

Was ist die Ursachen für Perfektionismus? 

Starre und irrationale Überzeugungen

Überzeugungen und Glaubenssätze, bei denen Erwartungen an das Selbst gestellt werden, beginnen oft mit "Ich sollte..." oder "Ich muss...". Hier ist das Risiko hoch, dass man beginnt unrealistische Ziele an sich selbst zu stellen, was zu einem ständigen Gefühl der Unzulänglichkeit führen kann.

Geringes Selbstwertgefühl 

Ein geringes Selbstwertgefühl ist ebenso eine Ursache für perfektionistisches Verhalten wie eine Folge davon. Perfektionisten fühlen sich nie gut genug in Bezug auf sich selbst oder ihre persönliche Performance. Sie neigen dazu, sich ihren eigenen Fähigkeiten nicht bewusst zu sein und haben Angst überholt zu werden, wenn sie nicht ständig mit vollem Fokus dabei bleiben.

Die Angst vor Verurteilung und dem Scheitern 

Die Angst vor Versagen, Ablehnung oder Fehlern ist ein Albtraum für einen Perfektionisten. Perfektionisten haben Angst davor, Fehler zu machen, denn diese könnten offenbaren, dass sie nicht immer im Perfektion glänzen. Der Durchschnitt ist nicht genug, da sie aus der breiten Masse herausstehen möchten. Denn wer stets perfekt ist und keine Fehler macht, wird auch nicht kritisiert.

 

Die Angst vor dem Erfolg 

Angst vor dem Erfolg zu haben, mag vorerst widersprüchlich klingen. Warum sollte jemand Angst vor seinem eigenen Erfolg haben? Ist es nicht das, was wir uns alle erhoffen? Die Wahrheit ist, dass die Angst vor dem Erfolg ein überschattender Zustand ist, der durch viele zugrundeliegende Faktoren verursacht wird. Perfektionisten fürchten sich daher nicht wirklich vor dem Erfolg selber, sondern vor all den Nebenwirkungen, die mit ihm einhergehen. Denn mehr Erfolg führt möglicherweise zu noch mehr Arbeit und Verantwortung. Für Perfektionisten, die sich ohnehin schon sehr viel Druck machen, bedeutet das eine zusätzliche Last, die getragen werden muss.

Die Wurzeln der Ursachen

Mit dem Wort „Perfektion“ verbinden und drücken wir unsere absolute Anerkennung aus:

"Du siehst perfekt aus!", "Das Essen war vorzüglich", "Dein Auftritt war eine 10 von 10!". 

Wer hört solche Komplimente nicht gerne? Das Gefühl, mit sich und seinen vollbrachten Leistungen gesehen zu werden, ist für viele Menschen ein absolutes Erfolgserlebnis! Ein Erlebnis, dass das Bedürfnis nach Verbindung und Anerkennung kurzfristig befriedigt und uns gleichzeitig dazu motiviert noch besser zu werden.

Ich erlebe in der Zusammenarbeit mit meinen Klient:innen immer wieder, dass sich der Perfektionismus schon sehr früh in unsere Leben einschleicht. So, dass es später fast unmöglich scheint, davon loszulassen. Oft fühlt es sich wie ein endloser Kampf gegen die eigenen Standards und Erwartungen an.

Dahinter versteckt sich oft ein Kompensationsmechanismus: Denn wer fehlerfrei und makellos ist, reduziert das Risiko, verurteilt oder angegriffen zu werden.

Oft sind perfektionistische Züge das Resultat einer Situation, die in der Kindheit passiert ist. Das könnte zum Beispiel sein, dass wir einmal besonders viel Ärger für eine schlechte Note bekommen haben. Oder wir haben erlebt, dass ein Mitschüler gemobbt wurde, da er einige Kilos „zu viel“ auf den Rippen hatte. Es sind genau diese Situation, die wir so stark verinnerlichen. Situationen, die sich so stark in unser Unterbewusstsein eingebrannt haben, dass es um jeden Preis vermeiden möchten, dieses Leid noch einmal erfahren müssen.

Oder wir haben in unserem Elternhaus nur Liebe und Anerkennung erhalten, wenn wir durch unser Verhalten außergewöhnliches geschafft haben. So könnte es sein, dass wir zu verstehen meinen, dass wir nur wertvoll sind, wenn wir Erfolge und Meilensteine vollbracht haben.


Ist Perfektion eine Illusion?

Das Wort Perfektion - mitsamt seiner emotionalen Bedeutung - bringt Leiden für diejenigen mit sich, die das Ziel der absoluten Vollkommenheit anstreben, während sie tief im Inneren wissen, dass dieser Zustand unerreichbar ist.

Der Duden hätte es nicht besser ausdrücken können: "Die höchste Vollendung in der Beherrschung". Doch mal Hand aufs Herz: Gibt es diesen vollkommenen und absoluten Zustand überhaupt?

Die Antwort darauf: Nein. Er ist eine Illusion. Zum einen, da jeder Mensch eine andere Vorstellung von Perfektion hat.

Zum anderen, da er näher betrachtet den Tod bedeutet - einen Zustand, in dem Veränderung nicht mehr passieren und wir das Leben nicht mehr durch seine Dualität erfahren können. Wer sich nach Perfektion strebt, wünscht sich eigentlich nichts mehr als Stillstand. Denn im Stillstand sind die Dinge kontrollierbar. Im Stillstand hätten Perfektion einen nachhaltigen Wert.

Bringt Perfektionismus auch Vorteile mit sich?

Wie fast alles im Leben gibt es auch hier zwei Seiten der Medaille. In der Psychologie nennt man diese beiden Seiten funktionalen und dysfunktionalem Perfektionismus.

Funktionaler Perfektionismus 

Häufig wird er auch als der „gesunde Perfektionismus“ benannt. Funktionale Perfektionisten geben ihr Bestes, um ihre Ziele effizient zu erreichen. Allerdings haben sie keine Angst davor, Fehler zu machen und sich diese auch vor ihren Mitmenschen einzugestehen. Sie kennen ihre Grenzen und wissen, wann es an der Zeit ist, einen Schritt zurückzutreten und sich eine Pause zu genehmigen. Selbst bei Misserfolgen stellen sie nicht sofort ihre Persönlichkeit infrage, sondern suchen nach alternativen Strategien, um sich ihren Zielen zu nähern.

Disfunktionaler Perfektionismus

Menschen, die einen disfunktionalen Perfektionismus entwickeln, agieren aus einer anderen Intention heraus, als funktionale Perfektionisten. Sie neigen dazu von Angst und Sorgen angetrieben zu sein anstelle von Inspiration und Schaffenskraft. Sie fürchten sich davor, nicht gut genug zu sein, ihren eigenen und den Ansprüchen anderer nicht gerecht zu werden oder ihre Ziele zu erreichen.


Wie kann ich den Perfektionismus überwinden? 

Und Du? Wurdest Du vielleicht auch schon einmal als Perfektionist:in bezeichnet? Oder würdest Du das sogar selbst über Dich selber sagen?

Falls ja, dann darf ich Dich erst einmal beruhigen. Das Gefühl kenne ich - zusammen mit tausenden von anderen Menschen.

Und Hand aufs Herz: Es ist verlockend, Perfektionismus als eine wünschenswerte oder positive Eigenschaft zu betrachten - er zeigt, dass wir auf Details achten und die Dinge richtig machen! Aber in Wirklichkeit kann zwanghafter Perfektionismus mehr schaden als nützen. Er kann das Selbstwertgefühl schädigen, unsere Beziehungen belasten und sogar zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen. Aus diesem Grund möchte ich Dir meine 4 Top-Tipps mit an die Hand geben, die Dir helfen können, ihn Schritt für Schritt abzulegen.


Werde Dir Deiner Trigger-Punkte bewusst 

Welche Faktoren müssen gegeben sein, damit Du Dich selber so unter Druck setzt und versuchst alle Fäden zusammenzuhalten? Hinterfrage Deine Intention: Was möchte ich damit erreichen? Für wen oder was agiere ich so, wie ich agiere? Nimm Dir gerne etwas Zeit, um innezuhalten und Deine Gedanken - OHNE WERTUNG - bewusst wahrzunehmen. Schreibe sie gerne auf. Denn so verstehen wir noch besser, wie und weshalb der Perfektionismus unseren Alltag beherrscht. Wer sich seiner Muster einmal bewusst geworden ist, kann das Drehbuch der Geschichte, die wir uns täglich selber erzählen, umschreiben. Und zwar so, dass sie uns langfristig in die Bahnen lenkt, die uns weder schadet noch vor dem Wachstum abhält.

Vergleiche Dich nicht mit anderen

Wir Menschen tendieren dazu, uns immer wieder einmal mit unseren Mitmenschen zu vergleichen, um einigermaßen einschätzen zu können, wo wir gerade stehen. Das ist sogar menschlich und bis zu einem gewissen Grad auch überhaupt kein Problem. Wenn dieses Verhalten allerdings überhand gewinnt, beginnt das Außen unser Inneres - unser authentisches Selbst - zu steuern. Wusstest Du, dass, wir dazu neigen, besonders stark ausgeprägte Eigenschaften in anderen mit unseren durchschnittlichen Eigenschaften zu vergleichen? Das ist ungefähr so, als wäre man Rechtshänder und würde versuchen, ein Instrument mit der linken Hand zu spielen. Frage Dich stattdessen, was Du besonders gut kannst. Welche Deiner Stärken möchtest Du noch weiter ausbauen? Was kannst Du besser, als die Person, mit der Du Dich gerade vergleichen möchtest? 

Lerne, Kritik anzunehmen

Perfektionisten neigen dazu, Kritik oft sehr persönlich zu nehmen. Konstruktive Kritik ist allerdings ein Geschenk. Sie ist ein Geschenk, das uns helfen kann, zu lernen und zu wachsen und hat in den seltensten Fällen etwas mit der Persönlichkeit zu tun. Denn meinst Du, dass Dir jemand einen Tipp geben würde, wenn ihm oder ihr Dein Wachstum nicht wichtig wäre?

Erlaube Dir Fehler zu machen

Wer noch nie einen Fehler gemacht hat, hat sich noch nie an etwas Neuem versucht - vielleicht kennst Du das berühmte Zitat von Albert Einstein. Und wenn man einmal genauer hinsieht, steck dort eine große Portion Wahrheit drin. Fehler sind menschlich und machen unsere Leben erst richtig spannend! Sie lassen uns nachhaltig und langfristig lernen und tragen eine immense Menge zu unserem Entwicklungspotenzial bei.

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